Kulturbund-Logo DDR
Kulturelle Überzeugungstäter –
Fakten und Tendenzen aus 7 Jahrzehnten Kulturbund
(Festvortrag von Hinrich Enderlein zur Jubiläumsveranstaltung 70 Jahre Kulturbund am 4. Juli 2015)
Vor ziemlich genau siebzig Jahren wurde in Berlin der Kulturbund unter dem Namen
“Kulturbund zur demokratischen Erneuerung Deutschlands“ gegründet.
Da war der zweite Weltkrieg erst knapp zwei Monate beendet. Das zeigt einmal die unglaubliche Dynamik dieser Nachkriegsentwicklung.
Und es zeigt, dass die Kultur eine Vorreiterrolle hatte beim Wiederaufbau demokratischer politischer Strukturen.
Eine erste Lizenz zur Gründung vom 25. Juni 1945 der Sowjetischen Militäradministration galt für Berlin, eine zweite vom 31. Juli 1945 für die gesamte SBZ. Die Gründungsveranstaltung fand am
3. Juli 1945 im großen Sendesaal des Rundfunkhauses in der Westberliner Masurenallee in Form einer öffentlichen Veranstaltung mit rund 1500 Teilnehmern statt.
Die Versammlung war von einem Initiativkomitee vorbereitet worden, das dann am 8. August einen Präsidialrat wählte.
Das Initiativkomitee bestand aus Künstlern und Wissenschaftlern verschiedener Sparten und traf sich in der Wohnung von Johannes R. Becher, der erst Anfang Juni aus Moskau zurückgekommen war. Er wurde auch der erste Präsident, Bernhard Kellermann sein erster Stellvertreter. Dem Präsidialrat gehörten 24 Mitglieder an, fast die Hälfte davon parteilos. Neben 8 KPD-Vertretern gab es auch CDU- und SPD-Mitglieder, Vertreter der Kirchen, natürlich Wissenschaftler und Künstler.
Ehrenvorsitzender wurde Gerhard Hauptmann. Präsident und Generalsekretär waren von der KPD besetzt.
Das entsprach dem Führungsanspruch der KPD.
Ansonsten galt ihr bündnispolitisches Konzept: formale Überparteilichkeit und weltanschauliche Pluralität.
In Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen, Thüringen und Sachsen-Anhalt gründeten sich im Laufe des Jahres Landesorganisationen – in Brandenburg bereits am 10. Juli, obwohl zu diesem Zeitpunkt die Lizenz noch gar nicht vorlag.
Der Aufbau einer gesamtdeutschen Organisation scheiterte an der Lizensierungspraxis der Westalliierten. Das galt auch für West-Berlin.
Ab 1958 hieß der Kulturbund dann “Deutscher Kulturbund“ und seit 1974 “Kulturbund der DDR“.
1990 beschloss ein außerordentlicher Bundeskongress die Umwandlung in einen Verein
“Kulturbund e.V.“, dem sechs Landesverbände angehören – in den fünf ostdeutschen Ländern und Berlin.
2007 hat der Kulturbund eine Kulturbund-Stiftung gegründet. Außerdem gehören zum Kulturbund die Pirkheimer-Gesellschaft und die Fotografische Gesellschaft. In den Landesverbänden gibt es weitere Gesellschaften.
An dieser Stelle ist es vielleicht sinnvoll auf die Grundlagen und Motivationen einzugehen, die das Handeln dieser Gründunggeneration maßgeblich prägten und beeinflussten. Die Anfänge liegen natürlich in der Emigration vor allem in Moskau, aber auch in London.
Trotz des dominierenden Einflusses der KPD waren Zielstellungen prägend, die auch ganz unabhängig von einer kommunistischen Ideologie ein spezifisches Gewicht für die Gründung des Kulturbunds erhielten. Da ist natürlich zunächst die klare antifaschistische, antimilitaristische und antireaktionäre Grundrichtung, hinter der sich alle versammeln konnten. Das war damals ein fast wohlfeiler Anspruch. Und das galt auch für die zweite programmatische Grundlage,
die demokratische Erneuerung.
Denn nach dem Zusammenbruch Nazideutschlands musste das eine konstitutive Basis für jede weitere Entwicklung sein.
Es wäre falsch, diesem damaligen Anspruch auf Grund späterer Entwicklungen keine Ernsthaftigkeit zu bescheinigen.
Aber es gab noch ein ganzes Bündel weiterer inhaltlicher Komponenten, die die Gründungphase und die in ihr handelnden Personen prägten. Da war zum einen der unglaublich breite Ansatz im Hinblick auf die Kultur. Da war zum anderen der enorm hohe Stellenwert, der der Kultur beigemessen wird. Da war die starke Betonung der Intelligenz als ganz maßgeblicher Faktor für die weitere Entwicklung. Die nationale Komponente wurde erstaunlich deutlich betont. Und schließlich bildete der Humanismus eine verbindende Klammer.
Ich zitiere aus dem Gründungaufruf:
Der “Kulturbund zur demokratischen Erneuerung Deutschlands“ ist bestrebt, die grosse deutsche Kultur, den Stolz unseres Vaterlandes, wieder zu erwecken und ein neues deutsches Geistesleben zu begründen.
Die wahren deutschen Kulturwerte, wie sie mit dem Namen eines Goethe, Lessing und zahlreicher Philosophen, Künstler und Wissenschaftler verbunden sind, wurden verschwiegen, verboten, oder durch die menschenfeindlichen Zweck-und Nutzlehren des Nazismus auf’s Schändlichste verfälscht. Die deutsche Kultur wurde zu einem Werkzeug des verbrecherischen Raubkrieges Hitlers herabgewürdigt.
Der Geist der Wahrheit, der jedes hohe deutsche Kulturschaffen kennzeichnet, wurde ersetzt durch den Lug und Trug der Nazipropaganda. Ehrliche Freiheitsstreiter, aufrechte Wahrheitsbekenner, wurden verfolgt, außer Landes getrieben,
in Konzentrationslager geworfen und ermordet. Repräsentanten deutschen Geistes wie Thomas Mann, Heinrich Mann, Albert Einstein, Bruno Walter, Leo Blech, Arnold Zweig, Anna Seghers,
Lion Feuchtwanger, Otto Klemperer, Albert Bassermann und viele andere mussten zwölf Jahre fern ihrer Heimat wirken.
Der weitere Text des Gründungsaufrufs setzt sich mit den Verfehlungen des Nationalsozialismus auseinander.
Auffällig sind im ganzen Aufruf der nationale Pathos, der voll dem damaligen Zeitgeist entspricht, das Anknüpfen an kulturelle Traditionen und die Betonung geistiger Werte. Ähnlich in Stil und Duktus sind die vom Präsidialrat noch 1945 formulierten und verabschiedeten 8 Leitsätze,
die – allerdings deutlich handlungsorientierter – auf die weitere Entwicklung ausgerichtet sind.
Ich zitiere:
1. Vernichtung der Naziideologie auf allen Lebens- und Wissensgebieten. Kampf gegen die geistigen Urheber der Naziverbrechen und der Kriegsverbrechen. Kampf gegen alle reaktionären, militaristischen Auffassungen. Säuberung und Reinhaltung des öffentlichen Lebens.
2. Bildung einer nationalen Einheitsfront deutscher Geistesarbeiter. Schaffung einer unverbrüchlichen Einheit der Intelligenz mit dem Volk. Im Vertrauen auf die Lebensfähigkeit und die Wandlungskraft unseres Volkes: Neugeburt des deutschen Geistes im Zeichen einer streitbaren demokratischen Weltanschauung.
3. Überprüfung der geschichtlichen Gesamtentwicklung unseres Volkes, und damit im Zusammenhang Sichtung der positiven und der negativen Kräfte, wie sie auf allen Gebieten unseres geistigen Lebens wirksam waren.
4. Wiederentdeckung und Förderung der freiheitlichen humanistischen, wahrhaft nationalen Traditionen unseres Volkes.
5. Einbeziehung der geistigen Errungenschaften anderer Völker in den kulturellen Neuaufbau Deutschlands. Anbahnung einer Verständigung mit den Kulturträgern anderer Völker. Wiedergewinnung des Vertrauens und der Achtung der Welt.
6. Verbreitung der Wahrheit. Wiedergewinnung objektiver Maße und Werte.
7. Kampf um die moralische Gesundung unseres Volkes, insbesondere Einflußnahme auf die geistige Betreuung der deutschen Jugenderziehung und der studentischen Jugend. Tatkräftige Förderung des Nachwuchses und Anerkennung hervorragender Leistungen durch Stiftungen und Preise.
8. Zusammenarbeit mit allen demokratisch eingestellten weltanschaulichen, religiösen und kirchlichen Bewegungen und Gruppen.
Auch wenn uns heute Stil, Duktus und Vokabular dieser Gründungsdokumente etwas befremdlich vorkommen mögen, das war in der Tat ein Programm, hinter dem sich eine ganz breite Allianz versammeln konnte. Die ersten Jahre nach der Gründung waren dann auch geprägt von einer regelrechten Aufbruchsstimmung.
Die Mitgliedszahlen stiegen bis 1949 auf über 150.000 in über tausend Orts-/Wirkungsgruppen. 1985 waren es dann sogar 260.000 Mitglieder. 1949 gab es rund 100 Kreissekretariate,
28 Kulturhäuser, 38 Klubs der Kulturschaffenden und 214 Geschäftsstellen mit insgesamt 447 Angestellten. Inhaltlich gab es die gesamte Breite von Kultursparten, -genres und –interessen, wie Musik, Literatur, Film, Theater, Bildende Kunst, Philatelie, Heimatforschung, Denkmalpflege. Nahezu kein Hobby war nicht vertreten.
Das ging von A wie Aquarianer, über E wie Esperanto, N wie Numismatik bis zu Z wie Zinnfiguren. Und 1949 mussten nach einer Verordnung der Zentralverwaltungen für Inneres und Volksbildung Volkskunstgruppen und volksbildende Vereine in den Kulturbund überführt werden. Dazu gehörten die Goethe- und die Bachgesellschaft, regionale Literatur-, Kunst- und Philosophiegesellschaften, Heimat- und Naturschutzvereine, sowie Gruppen, die sich der Geschichte, den Sprachen,
den Naturwissenschaften, der Dendrologie, der Philatelie, Fotografie oder dem Basteln widmeten. Ganz wichtig und erfolgreich waren auch die Kleinen Galerien, die sich geradezu lawinenartig vermehrten. Dagegen gründeten die Bildenden Künstler, die Schriftsteller, Komponisten und Musikwissenschaftler Anfang der 50-er Jahre separate Organisationen, deren Mitglieder allerdings häufig auch weiter im Kulturbund mitarbeiteten.
Diese Breite des Angebots und die daraus resultierende interdisziplinäre Diskussion sind bis heute ein Alleinstellungsmerkmal des Kulturbunds. Vereinsmeierei konnte da nicht aufkommen. Im Gegenteil: die geistige Auseinandersetzung wurde so zum konstitutiven und institutionellen Bestandteil jeder kulturellen Arbeit. Allerdings wurde diese Entwicklung am Anfang nicht nur begrüßt.
Victor Klemperer, dessen Tagebücher von 1945 – 1958 eine wahre Fundgrube für die Geschichte des Kulturbunds sind, notierte einen Ausspruch von Becher aus dieser Zeit: Wir sind ein Bund der Intellektuellen, müssen uns auf die Intellektuellen beschränken,
alle Intellektuellen der DDR erfassen, nicht nach anderen Gruppen ausschauen. Damit entfernte er sich freilich von der in den Leitsätzen geforderten “unverbrüchlichen Einheit der Intelligenz mit dem Volk“. Besser ins Bild passten da aus Sicht der Gründungsgeneration die bereits 1945 erfolgte Gründung des Aufbauverlags und die Herausgabe der kulturpolitischen Monatsschrift “Aufbau“. 1954 wurde die Gesellschaft zur Verbreitung wissenschaftlicher Kenntnisse durch den Kulturbund gegründet, aus der 1966 die “Urania“ hervorging.
Und natürlich waren die Klubs der Intelligenz eine ureigene Initiative des Kulturbunds der fünfziger Jahre. 1955 gab es bereits 40 Klubs mit rund 5.000 Mitgliedern, 1960 bestanden bereits 116 Klubs, davon 30 in kleineren Städten und Gemeinden wie z.B. in Kleinmachnow der Joliot-Curie-Klub. Die Klubs und ihre Arbeit waren oft Gegenstand von Auseinandersetzungen auf den Ebenen der Bezirke und der Zentrale des Kulturbunds aber auch der Partei- und Staatsgremien. Sie ließen sich nie völlig gleichschalten oder kontrollieren und führten zum Teil ein interessantes, ja brisantes Eigenleben. Wie überhaupt der Kulturbund für manche Nonkonformisten, die sich nicht mit der offiziellen Linie oder Ideologie von Partei und Staat befreunden konnten, Nischen bereithielt.
Allerdings gab es bereits Ende der 40-er Jahre eine erste Zäsur, die zwei ganz wichtige Grundpositionen des Kulturbunds betraf.
Durch das Auseinanderdriften der Welt in einen Kalten Krieg konnte die dem Kulturbund von Anfang an so wichtige gesamtdeutsche Option nicht gehalten werden. Und durch die Politik des demokratischen Zentralismus rückten Partei und Staat von der ursprünglich mindestens pluralen wenn nicht pluralistisch antifaschistischen Demokratie ab. Für den Kulturbund bedeutete das, dass seine bisherige Einordnung ins gesellschaftliche System der SBZ/DDR durch eine Unterordnung unter den demokratischen Sozialismus ersetzt werden musste. Das hatte im Übrigen zur Folge, dass immer mehr personelle Verflechtungen zwischen Partei und Verwaltung aller Ebenen einerseits und Strukturen des Kulturbunds andererseits entstanden. So war der Kulturbund auch mit einer Fraktion in der Volkskammer vertreten, der kleinsten (20 bis 25 Abgeordnete), aber mit einem hohen intellektuellen und z.T. auch kritischen Anspruch.
Der Höhepunkt dieser problematischen Entwicklung war die Ernennung des Kulturbund-präsidenten Johannes R. Becher zum Kulturminister der DDR 1954. Sein Stellvertreter wurde ein weiteres führendes Kulturbundmitglied, Alexander Abusch. Die Ambivalenz dieser Entwicklung liegt auf der Hand. Es gab Mitgliederverluste, die diesen Weg nicht mitgehen wollten oder konnten. Es gab aber auch Möglichkeiten, die Staatsnähe zur materiellen Existenzsicherung zu nutzen, bei dem gleichzeitigen Versuch, die damit automatisch verbundenen programmatischen Opfer zu begrenzen.
Ich zitiere hierzu aus einem lesenswerten Beitrag des Potsdamer Kulturbundfunktionärs Günther Wirth aus dem Buch Verlorene Träume, das zum 60. Jahrestag des Kulturbunds erschienen ist (S. 36 f). Unter der Überschrift Die “Heinrich- und die Thomasmänner“ schreibt er:
Daher ging es für den Kulturbund letztlich darum, angesichts der betrauerten Verluste und der ungewollten Zugewinne die Existenzfrage nach seinem Beitrag zur “demokratischen Erneuerung“ erneut zu stellen und hierfür sein einziges eigenständig zu handhabendes Instrument einzusetzen, eben die geistige Auseinandersetzung. Es ist wiederum Klemperer, der … an die Ursprünge der Gründung von 1945 anknüpfte und deren verschüttete Ecksteine freilegte. Er beschwor die Begegnung zwischen Ost und West 1945… Dann verwies er auf den einsetzenden Kalten Krieg, der so manchen Intellektuellen zum Schwanken verführt habe, schließlich auf die Notwendigkeit, die ganze Intelligenz zu erfassen, um den Fanalen der Bedrohung entgegenzuwirken. … Für Klemperer gab es aus dieser Analyse nur eine Konsequenz, die er geistvoll auf die Formel brachte: das unbedingte Zusammengehen der “Heinrich- und Thomasmänner“. Also die Neuformulierung des Bündnisses zwischen denen, die mehr auf Heinrich Mann setzten, auf ihn, der sich für die DDR entschieden hatte, aber durch seinen Tod gehindert wurde, diese Entscheidung zu realisieren, und denen, die mit Thomas Mann statuierten, dass das Bürgerliche eine gewisse geistige Transzendenz besitze, in der es sich selbst aufhebe und verwandle.
Tatsächlich ist es so, fügt Wirth hinzu, dass der Kulturbund in den vierzig Jahren von 1950 bis 1989/90, unabhängig von seiner gesellschaftlichen Einbindung, … letztlich doch entsprechend je den neuen Bedingungen in der DDR seinem Gründungethos treu zu bleiben gesucht hat, und das heißt, dass er in manchmal geradezu schlafwandlerischer Sicherheit, manchmal auf nicht ungefährlicher Gratwanderung, im Bündnis der Heinrich- und Thomasmänner für demokratische Erneuerung einzutreten fähig war.
Wirth betont in seinem Beitrag noch einmal die singuläre Organisation, die der Kulturbund im gesellschaftlichen System der DDR war, in der man Mitglied sein konnte, es aber nicht musste.
Nur so konnte man das Problem der doppelten Leitung unterlaufen, d.h. der Spannung zwischen der satzungsgemäßen vertikalen Leitung des Kulturbundes selbst und der auf den jeweiligen Leitungsebenen wirksamen und auf Bestimmung heischenden horizontalen Leitung der führenden Partei.
Becher hat in seiner Zeit als Kulturminister – bevor er entmachtet wurde – sehr viel für die Kultur und den Kulturbund bewegt.
Hans Mayer, der renommierte Literaturwissenschaftler, der lange in den Führungsgremien des Kulturbunds mitgearbeitet hat, sagt, als Kulturminister sei Becher ein Glücksfall gewesen und wäre fast zum Schirmherrn eines kulturellen Tauwetters geworden.
Auch der Germanist Dieter Schiller bezieht sich in seinem Buch über den Kulturbund “Überparteilich, nicht neutral“ auf Hans Mayer (S. 239).
Ich zitiere:
Vorangegangen waren dramatische Jahre im Leben Bechers. Er war – wie Hans Mayer in seinen Erinnerungen wohl zu Recht schreibt – die “Schlüsselfigur“ eines neuen kulturpolitischen Kurses gewesen, der nach der Auflösung der staatlichen Kunstkommission und der Gründung eines Ministeriums für Kultur im Januar 1954 betrieben wurde. Absage an administrative Methoden staatlicher Lenkung der Kultur und Auflockerung dogmatischer Kunstkonzepte – Mayer spricht von einer Befreiung der Kunstkritik von der sowjetischen Orthodoxie – erweiterten die künstlerische und kulturelle Bewegungsfreiheit. Die Programmerklärung, die Becher als Minister im März 1954 unterschrieben hatte, erklärte den Kampf um den Frieden und die Wiedervereinigung Deutschlands durch die demokratische Verständigung zwischen den Deutschen zum Ausgangspunkt einer deutschen Kulturpolitik und erklärte zum Hauptziel, “mit der Einheit zugleich den humanistischen Charakter unserer Kultur zu verteidigen“.
Soweit das Zitat von Dieter Schiller. Natürlich blieb auch das nicht lange so stehen. Jedenfalls waren auch in der Folge kritische Auseinandersetzungen zwischen Staats-und Parteiführung einerseits und dem Kulturbund andererseits vorprogrammiert.
Und nach Bechers Entmachtung 1957 ließen sich dessen systemkritische Positionen nicht mehr halten. Zwei der wichtigsten und angesehensten Persönlichkeiten, die lange wenn auch kritisch in den Führungsgremien des Kulturbunds mitgearbeitet hatten, kehrten nach Aufenthalten in der Bundesrepublik 1961 und 1963 nicht mehr in die DDR zurück: der Philosoph Ernst Bloch, nachdem er zuvor aus politischen Gründen emeritiert worden war, und der Literaturwissenschaftler Hans Mayer. Ich habe beide in Tübingen erlebt und insbesondere an Ernst Bloch eine sehr lebhafte Erinnerung, als er nämlich seine letzte Vorlesung kurz vor seinem Tod 1967 hielt, die ich selbst gehört habe. Er las über Hegels Phänomenologie des Geistes und gebrauchte dabei eine Formulierung, die seitdem in meiner Erinnerung eingemeißelt ist: Da hat der Hegel ein Buch geschrieben, gegen das nimmt sich Kants Kritik der reinen Vernunft aus wie eine Bahnhofslektüre.
In den darauf folgenden Jahren blieben die Konfliktmuster erhalten und die drei weiteren Präsidenten, Max Burghardt von 1958 – 1977, Hans-Joachim Hoffman 1977, Hans Pischner 1977 – 1990, waren bemüht das Schiff Kulturbund einigermaßen unbeschadet durch die zum Teil sehr raue See zu navigieren. Die Konflikte im Detail zu schildern, würde im Rahmen dieses Vortrags aber zu weit führen.
Fast jeder ist aber eine eigene Darstellung wert und die meisten sind auch angemessen aufgearbeitet worden. Was fehlt ist nach wie vor eine Gesamtdarstellung der Geschichte des Kulturbunds, zu der es aber dankenswerterweise eine Fülle von Monographien, Dokumentationen und Erinnerungen gibt. Wenigstens erwähnen will ich noch zwei Potsdamer Initiativen der Vorwendezeit, die ohne den Kulturbund nicht möglich gewesen wären: die Arbeitsgemeinschaft Pfingstberg und die ARGUS die letztlich in das Neue Forum und in die Wende mündeten.
Nach der Wende hat der Kulturbund insbesondere in Brandenburg bei allen Verlusten einigermaßen geordnet überlebt.
Wir haben immer noch rund 3.000 Mitglieder und eine Vielzahl von Ortsgruppen, Interessengemeinschaften, Fachgruppen und Vereinen, die sich die Schwerpunkte ihrer Arbeit selbst aussuchen. Schwerpunkte dabei sind die Alltagskultur und die kulturelle Bildung. Leider ist die Landesförderung durch eine Entscheidung des Kulturministeriums vor zwei Jahren eingestellt worden.
Es handelte sich dabei um eine Förderung der Landesgeschäftsstelle, die seit dem mit Hilfe des Landtags über einen Umweg trotzdem leidlich funktioniert. Und auch diese Jubiläumsveranstaltung wird vom Ministerium gefördert. Zuvor war die Landesförderung mehr als zwanzig Jahre von Kulturministern ganz unterschiedlicher parteipolitischer Couleur gestützt auf die landesweit erfolgreiche Arbeit des Kulturbunds selbstverständlich gewesen. Dahinter steht die Auffassung des jetzigen Ministeriums, dass der Kulturbund nicht so funktioniert, wie ein Verband es aus Sicht des Ministeriums sollte. Hatte nicht schon Becher 60 Jahre zuvor administrativen Methoden zur staatlichen Lenkung der Kultur eine Absage erteilt. Aber das ist ganz offensichtlich eine andere Geschichte.
Der Kulturbund war in der DDR eine singuläre Organisation im kulturellen Leben und ist es ganz offensichtlich in der BRD auch geblieben.
Ich schließe, wie beim Kulturbund und zumal bei der Thematik Kulturbund angemessen, mit einem Gedicht und zwar von Johannes R. Becher aus den fünfziger Jahren, das der schon zitierte Hans Mayer zum Titel seiner Erinnerungen gemacht hat:
“Turm von Babel“
Das ist der Turm von Babel,
Er spricht in allen Zungen.
Und Kain erschlägt den Abel
Und wird als Gott besungen.
Er will mit seinem Turme
Wohl in den Himmel steigen
Und will von keinem Sturme,
Der ihn umstürmt, sich neigen.
Gerüchte aber schwirren,
Die Wahrheit wird verschwiegen.
Die Herzen sich verwirren –
So hoch sind wir gestiegen!
Das Wort wird zur Vokabel,
Um sinnlos zu verhallen.
Es wird der Turm zu Babel
Im Sturz zu nichts verfallen.
Mayer liefert auch eine Interpretation dieses sicher vielgründigen Gedichts, von der ich nur die Quintessenz zitieren will: Vor allem aber ist das Gedicht vom Turm zu Babel eine Auseinandersetzung mit der Lüge und mit einer Ideologie, die allen Rückhalt bei irgendeiner Wirklichkeit, einer “real existierenden“ nämlich, verloren hat. Das Wort wird zur Vokabel.
Die Wahrheit wird verschwiegen. Verwirrung der Geister und Herzen. “So hoch sind wir gestiegen!“
Ich schließe mit der Aussage: Der Kulturbund lebt. Das ist er den Gründern und künftigen Generationen schuldig.
Nach 1989 …
… wurde der Landesverband „Brandenburgischer Kulturbund e.V.“ in Potsdam innerhalb des „Kulturbundes e.V.“ gebildet. Viele Verbände, Gesellschaften, Interessengruppen, Arbeitskreise verließen den aus DDR-Zeiten zentralistisch organisierten Kulturbund und gründeten z. T.
eigene Vereine.
Auch in Königs Wusterhausen machte sich die Umbruchphase durch Verselbständigung der Arbeitskreise und Interessengruppen und damit einen großen Mitgliederrückgang bemerkbar.
Der Kulturbund musste sich also neu etablieren.
Februar 1993 – Gründung als „Kulturbund Königs Wusterhausen e.V.“
Am 25.Februar 1994 wurde unter Berücksichtigung der Bildung des Landkreises Dahme-Spreewald der „Kulturbund Dahme-Spreewald e.V.“ gegründet.
Wir blicken auf eine vielfältige Geschichte zurück.
Eine vom Publikum sehr geschätzte Reihe waren z.B. die „Turmgespräche“.